Weihnachtsfolge 1700,5 Humbug Kapitel 1

Jörg Flöttl von der Facebook Gruppe Lindenstraße forever hat als kleines Trostpflaster für die ausgefallenen Folgen eine eigene Lindenstraße- Weihnachtsgeschichte in 3 Teilen geschrieben. Mit seiner Erlaubnis veröffentliche ich diese heute und den folgenden Tagen:

Folge 1700,5 Humbug

Kapitel 1

Dicke Schneeflocken fielen in der Nacht zum 24.12. aus dunklen Wolken auf die geräumige Villa in Bogenhausen. Bunte Lichter glitzernden in allen Häusern der Nachbarschaft. Tannenbäume mit bunten Kugeln und Krippen mit hölzernen Figuren schmückten die Vorgärten.

Doch nicht in dieser Villa. Sie stand kühl wie eine Festung und wehrte sich erfolgreich gegen all die weihnachtliche Vorfreude da draußen. Missmutig saß ihr Besitzer am Schreibtisch seines Arbeitszimmers und blickte auf die Säcke an Briefen, die der Postbote ihm heute wieder ins Haus brachte. Er zog wahllos einen heraus und begann ihn zu lesen.

„Sehr geehrter Herr Volker Herres,
mit Bestürzen musste ich feststellen, dass Sie auch dieses Jahr erneut die Weihnachts- und Silvesterfolge der Lindenstraße entfallen lassen. Dies ist besonders bedauerlich, da es aufgrund Ihrer Ankündigung der Einstellung der Serie im März 2020 nicht mehr viele Möglichkeiten geben wird, an denen ich gemeinsam mit meinen Helden aus der Serie diese Feste feiern kann. Wie schön war es doch immer in den Jahren zuvor, als wir uns in der Weihnachtszeit mit der ganzen Familie vor dem Fernsehen versammelten, den Weihnachtsstollen von Oma Gertrud anschnitten und gemeinsam über die verbrannten Raben von Mutter Beimer lachen konnten. Doch damit scheint es nun vorbei… Weihnachten wird vermutlich nie mehr das gleiche sein, was es mal war…“.

Er zerknüllte den Brief und rümpfte verächtlich die Nase. „Weihnachten mit der Lindenstraße“, grummelte er. „Was für ein Humbug“.

Müde streifte er sein Hemd ab und schlüpfte in seinen seidenen Pyjama. Er schlurfte gähnend zum Bett und warf einen letzten Blick in seinen Kalender. „Wenn dieses nutzlose Weihnachten bloß vorbei wäre“, dachte er sich mürrisch. „Was das wieder kostet… jedem Mitarbeiter ein paar freie Tage bezahlen… Gut, dass ab März 2020 einige Mitarbeiter weniger zu bezahlen sind“. Zufrieden nickend warf er den Terminplaner zurück auf das Nachtkästchen aus Mahagoni, kuschelte sich in seine weichen Daunenkissen.

Gespenstische Ruhe lag in den Räumen, nur das Ticken der alten Standuhr in der Zimmerecke war zu vernehmen. Punkt Mitternacht schlug sie 12 Mal.
Plötzlich tat es einen lauten Schlag neben Volkers Bett. Er fuhr auf, riss sich die Schlafmaske von den Augen und blickte in beißend grelles Licht. Es war ein Leuchten, das weit über dem seines Deckenfluters hinaus ging. Schützend zwickte er die Augen zu und versuchte durch den Spalt, den er sie offen hielt, zu erkennen, was gerade geschieht.
Das erste, das er erkennen konnte, war das Objekt, das anscheinend diesen Krach verursachte. Es war einer der Säcke, den ihn der Postbote am Morgen hereingeschleift hatte. Die Briefe lagen weit verstreut im ganzen Schlafzimmer. Hinter dem Sack stand eine Gestalt. Ihr weißes Haar und ihr grünes Gewand wirkten engelsartig auf ihn. Mit Macht und Anmut hielt sie einen langen Stab in der Hand.

„Das muss ein Traum sein“, dachte sich Volker im Stillen, jedoch bevor Volker auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, öffnete die Gestalt ihren Mund und begann mit ihm zu sprechen.

„Wos isn des etz für a Krempel do. Des is so viel, des konn i doch gor net alles lesn.“
Die Lichtstärke ebbt ab und Volker erkennt eine ältere Dame im grünen Putzkittel vor seinem Bett stehen.

„Else Kling?“, fragt er ungläubig. Else lacht. „Ja freilich, i bin die Else, des konnst ruhig glaubn. Ondere sogn zu mir a Geist der vergangana Weihnachd zu mia.“. Sie wirft ihn ein paar der Briefe ins Gesicht. „Wos isn jetz des do. Du host doch bestimmt was ausgfressn…“
„Das sind meine Zuschauerbriefe“, erklärt Volker. „Aber die gehen Sie gar nichts an“.
Kaum hatte er dies ausgesprochen, spürte er den stechenden Schmerz eines Schlages in seiner Seite, denn Else verpasste ihm einen Hieb mit dem Schrubber, den sie noch immer in den Händen hielt. „I bin die Else“, sagte sie breit grinsend. „Mich geht in dem Haus alles wos an“.

„Das sind Beschwerdebriefe“, erklärte Volker. „Weil ich die Lindenstraße nächstes Jahr absetzen will“. Else verharrte: „Du willst wos? Die Lindenstraße absetzen? Du Sau-Bazi, du Elendiger…“.
Sie stampfte mit dem Schrubber dreimal auf dem Boden auf und plötzlich zogen Nebelschwaden um Volker auf bis er die Hand vor den Augen nicht mehr sehen konnte.

Langsam tastete er sich voran. Seine nackten Füße spürten Straßenasphalt. Weder von Else, noch von einer anderen Person war etwas zu sehen.
„Wo bistn du windigs Zigarettenbürscherl“, hörte er sie durch den Nebel rufen. Vorsichtig stolperte er weiter, bis sich der Nebel lichtete und er in einer Straße stand. Sie war hell erleuchtet und bunt weihnachtlich dekoriert. Frohes Fest prankte da in feierlichen Leuchtbuchstaben über der Straße aufgehängt. In jedem der Fenster hingen bunte Weihnachtsdekorationen. Strohsterne, Tannenzweige, Kerzen standen auf manchen der Fensterbrettern.

Hausmusik klang aus einem der gekippten Fenster im ersten Stock. „Weißt wer des is?“, fragt Else zwinkernd. „Die Beimerin spield wieder mit ihre Schratzn ihre Weihnachtsmusi“.
Ein Stückchen weiter auf der Bank im Rondell saß ein Mann, alleine, hielt eine Flasche Glühwein in den Händen und rezitierte Weihnachtsgedichte. Auf dem ersten Blick dachte Volker, er stünde dem Weihnachtsmann gegenüber, erkannte dann aber doch Harry.

Über dem Cafe Bayer ging ein Fenster auf und die kleine Sophie und ihre Schwester Sarah guckten heraus. „Ob wir das Christkind heute sehen, wenn es wegfliegt?“, fragte Sophie ihre Schwester. „Das blöde Christkind gibt es doch gar nicht“, hört man Tom von der Ecke des Kinderzimmers rufen, der gelangweilt auf dem Bett rumlümmelte. „Gibt es wohl“, rief Söphchen. „Na warte, das werd ich Mama sagen“.
Die Tür des Akropolis ging auf und Vasily kommt heraus. Er hängt ein Schild in die Tür auf dem steht: HEUTE GROSSES WEIHNACHTSESSEN FÜR ALLE, DIE NICHT ALLEINE SEIN WOLLEN. Er guckte es sich an, nickte zufrieden und verschwand wieder ins Warme.

„Merkst wos“, fragt Else Volker und stupst ihn von der Seite wieder mit dem Schrubber an. „Des war so schee bei uns in der Stros. Jeder feierd Waihnachtn und olle guckns uns zua dabei. Mia san die Harmonie für dia Leit dahoam.“
„Ach, das können sie doch alles auch ohne das Fernsehen machen“.
Else nickt. „Joa, des könnas scho. Aber des wollns vielleicht net, du Neugscheiter“.

Die Hausmusik der Beimers verstummt und die Nebelschwaden ziehen wieder auf. Volker spürt wie sich die Umgebung wieder verändert. In weiter Ferne hört er jedoch noch, wie eine Frau ruft: „Oh nein, ich hab doch den Wecker gestellt. Meine Raben sind wieder verbrannt“…

Die Standuhr schlug zur viertel Stunde, als Volker in seinem Bett hochschreckte.
„Was war das?“, fragte er sich und sah sich ungläubig um. „Else? Bist du noch da?“, hörte er seine Stimme in die leeren Flure hallen. Doch keine Antwort ertönte. Der Sack mit der Post war aus seinem Schlafzimmer verschwunden und nirgendwo war das alte Weibchen mit ihrem Schrubber zu sehen.
„Was für ein Traum“, murmelte Volker und fiel erschöpft in die Kissen zurück.

Hier geht’s weiter: Kapitel 2

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